»Die Pharma-Branche befindet sich durch den Einsatz von KI in einer Umbruchphase«
Professor Fröhlich, Sie haben in der akademischen Forschung und in der Pharmaindustrie gearbeitet. Vor welchen Herausforderungen steht die Branche?
Fröhlich: Seit Jahren explodieren die Kosten, um neue Medikamente auf den Markt zu bringen. Verantwortlich dafür sind unter anderem strengere gesetzliche Vorgaben. So muss nicht nur die Wirksamkeit an sich nachgewiesen werden, sondern auch, dass der neue Wirkstoff besser ist als das Angebot auf dem Markt. Aktuell scheitern rund 95 Prozent der klinischen Studien. Zudem dauert es oft 10 bis 15 Jahre bis ein neues Medikament zugelassen wird.
Sie sind Experte für Künstliche Intelligenz (KI). Welche Rolle spielen KI-Methoden bei der Medikamentenentwicklung?
Die Pharma-Unternehmen versuchen, die Zeit bis zum Test eines neuen Wirkstoffkandidaten in klinischen Studien zu verkürzen und die Erfolgschancen in den notwendigen Zulassungsstudien selber zu verbessern. Dabei spielen Methoden der KI auf mehreren Ebenen eine Rolle: Mit ihrer Hilfe lassen sich Angriffspunkte für künftige Medikamente identifizieren sowie Kandidatenmoleküle schneller und effizienter erzeugen. Außerdem unterstützen sie die Pharma-Forschung dabei herauszufinden, welche Patienten von einem Medikament profitieren. Zudem machen KI-Modelle es möglich, die Wirkung von Medikamenten in klinischen Studien mittels digitaler Biomarker genauer zu erfassen.
Dabei geht es um große Einsparungen?
Viele glauben, dass der Einsatz von KI langfristig zu Gewinnsteigerungen führen kann. Zu beachten ist dabei allerdings, dass die Pharma-Branche sich in einer Umbruchphase befindet. KI-Modelle werden derzeit vor allem noch zu Forschungszwecken entwickelt und bislang selten in die Routineabläufe der Unternehmen integriert, weil dies organisatorisch und kulturell sehr schwierig ist. Ich bin jedoch überzeugt, dass sich dies in den nächsten Jahren ändern wird.
Man sollte den Nutzen von KI auch nicht nur von der monetären Seite betrachten. Eine effizientere und auf die richtige Patientengruppe fokussierte Entwicklung neuer Medikamente hilft den Patienten, schneller wieder gesund zu werden.
Um Ihre KI-Modelle zu trainieren, benötigen Sie möglichst viele Patientendaten. Die sind schwer zu bekommen.
Allerdings. Die elektronische Patientenakte für gesetzlich Versicherte soll 2021 eingeführt werden. Eine übergreifende Dateninfrastruktur in Deutschland entsteht gerade erst. Eine vereinfachte Datenbeschaffung verspricht etwa die Medizininformatik-Initiative. Unikliniken arbeiten darin mit Forschungseinrichtungen, Unternehmen, Krankenkassen und Patientenvertretern daran, Daten untereinander zugänglich zu machen.
Viele Menschen erfassen ihre Vitalwerte mit Fitnesstrackern und auf Smartphones. Hilft dies der Forschung?
Es kommt natürlich auf die Apps an. In der Forschung können digitale Biomarker dabei helfen, das Krankheitsgeschehen objektiv messbar zu verfolgen und Modelle vom zeitlichen Verlauf einer Erkrankung zu entwerfen. Solche Modelle kommen dann wiederum der Entwicklung neuer Medikamente zugute, weil sie es ermöglichen, Patienten mit besonders ungünstiger Prognose zu identifizieren.